Hinter dem Großen Ring mit seinen bunt restaurierten Fassaden, vorbei am quirligen Rummel des modernen Shopping-Centers „Galeria Dominikańska“ betreten wir das vergessene Breslau. Die Zeit ist hier einfach stehen geblieben. Ganze Straßenzüge ehemals stolzer Kaufherrenhäuser mit verschnörkelten Renaissance- und Barockgiebeln sind in ein fahles Grau getaucht und erzählen leise von Ruhm und Reichtum längst vergangener Zeiten. Die Wege führen über Kopfsteinpflaster. Eingeschlagene Scheiben, zugemauerte Fenster. Eine Wüste aus leerstehenden Fabrikgebäuden und verfallenen Wohnkomplexen. Von den Mauern bröckelt der Putz. Auf dem staubigen Gelände spielen ein paar Kinder Fußball. Ein junges Pärchen versteckt sich im verlassenen Treppenhaus, um heimlich Zärtlichkeiten auszutauschen. Ein paar Männer schrauben an einem alten, rostigen Autos rum.
Zwischen großen Satellitenschüsseln, rostigen, alten Fernseh-Antennen und vereinzelten Wäscheleinen ragt hier und da ein kleiner Blumentopf aus dem Fenster heraus und strahlt in frischer Farbe auf einem grau-braunem Backsteinmeer. „Vor ein paar Wochen wurde hier wieder gedreht,“ deutet Gosia auf die Straße vor uns. Die Filmindustrie hat die Stadt als Kulisse für sich entdeckt. „Wroclaw ist im Kino das Berlin der Nachkriegszeit. Alles original. Die haben nichts verändern müssen. Nur die Autos mussten weg, sonst ist noch alles, wie damals nach dem Krieg.“ Sie erzählt weiter, dass in den letzten Jahren Investoren aus dem Westen viele der alten Herrenhäuser in der Gegend gekauft und wieder in Stand gesetzt haben. „Die Großeltern sind sauer, dass die Deutschen wieder da sind, da kommen die ganzen Erinnerungen an damals wieder hoch. Aber für die Stadt ist das gut. Die Häuser verfallen sonst immer mehr. Mir ist es egal, wer sie wieder herrichtet. Hauptsache jemand macht es“ stellt sie sie trocken fest. Ein deutscher Investor hat in ihrer Straße letztes Jahr ein Haus gekauft und es vor dem Abriss bewahrt. Es wurde kernsarniert und hat einen pastellgelben Anstrich bekommen. Die Kunststudentin sieht es nüchtern. „Die Alternative wäre ein klaffendes Loch in der Häuserzeile gewesen. Zurück bleibt dann nur ein Abrissmuster aus Badfliesen und alten Blümchentapeten.“
Langsam geht die Sonne unter und umschmeichelt die alten Gemäuer mit einem weichen, warmen Licht. Die zeitlose Filmkulisse erstrahlt in einem heimeligen Charme. Kichernd stöckelt eine Gruppe junger Frauen in schicken, kurzen Sommerkleidchen auf schwindelerregend hohen Absätzen über das unebene Kopfsteinpflaster der alten Straßen. Ein alter Mann im Unterhemd lehnt auf einer bunten Decke in seinem Fenster und schaut ihnen hinterher. Wenige Meter weiter bellt ihnen ein zotteliger, kleiner Hund hinterher. Kinder haben mit Kreide einen Hinkekasten auf die Straße gemalt und hüpfen fröhlich über die Felder zwischen Himmel und Hölle. Eine Mutter ruft ihre Tochter aus dem Fenster zum Essen hoch. Auch wir haben Hunger und tippeln dem hallenden, gleichmäßigen Klick-Klack der High-Heels-Absätze Richtung Rynek hinterher. Vorbei am Rummel des Shopping-Centers „Galeria Dominikańska“ zurück ins bunte, sauber restaurierte Zentrum von Breslau.